Großprojekt Frankfurter Flughafen – Die überforderte Demokratie?

von Hans Schinke

Zusammenfassung

Wichtige Infrastrukturprojekte, die ein Planfeststellungsverfahren erfordern, müssen in einer Demokratie politisch legitimiert sein. Um der offenkundigen Überforderung der Bürger bei Großprojekten wie dem Ausbau des Frankfurter Flughafens und der daraus resultierenden Resignation und Politikverdrossenheit abzuhelfen, plädiert der Autor für ein Bürgerbeteiligungsgesetz, die zwingende Anhörung der Bürger bei der Festlegung von Flugrouten, für ein bundeseinheitliches Lärmschutzgesetz und nicht zuletzt für ein transparentes, öffentlichkeitswirksames Projektcontrolling als Voraussetzung für spätere Änderungen im Planfeststellungsbeschluss.

Überforderung von Politik und Bürgern bei Großprojekten

In seiner „Einleitung/Zusammenfassung“ zu dem Band „Grenzen der Demokratie – Die gesellschaftliche Auseinandersetzung bei Großprojekten“ beschreibt der Herausgeber, Prof. Friedrich Thießen, die Grenzen von Großprojekten, die ja eigentlich demokratisch legitimiert sein sollten. Auch die Politik sei dabei überfordert. (Allerdings weiß man manchmal nicht so genau, was größer ist, die willfährige Unterstützung von Großprojekten oder die eigene Überforderung.) Richter zögen in ihrer Überforderung die Notbremse des „eigenen Ermessens“. Und die Bürger selbst reagierten entweder gar nicht oder erst zu spät.

Überforderung der Politik

Die politischen Steigbügelhalter haben den Ausbau des Frankfurter Flughafens nicht nur wohlwollend begleitet, sondern auch streckenweise massiv unterstützt. Sie sind mit diesem Großprojekt tatsächlich aber auch teilweise überfordert. Diese Überforderung lässt sich an folgenden fünf Beispielen veranschaulichen:

  • Der hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch, FDP, gibt seine Ahnungslosigkeit nach Eröffnung der neuen Landebahn am 21. Oktober 2012 selbst mit den Worten zu Protokoll: „Die Höhe der zusätzlichen Lärmbelastung, aber auch die Reaktionen der Bürger haben uns in dieser Intensität überrascht.“
  • Bei schriftlichen Anfragen sind führende Politiker der damaligen schwarz-gelben Regierungskoalition nicht in der Lage, die von ihnen im Zusammenhang mit dem Ausbau in oft unterschiedlicher Version stolz verkündeten Arbeitsplatzzahlen zu verifizieren. In der Regel wiederholen sie schlichtweg nur Zahlen aus den diversen Gutachten bzw. aus dem Planfeststellungsbeschluss oder erweitern das Zahlenwerk in kreativer Interpretation.
  • Bereits vier Wochen nach Eröffnung der neuen Landebahn wird die Hessische Landesregierung von den wütenden Protesten der neu mit Fluglärm konfrontierten Bürger völlig überrascht. Sie strickt darauf hin mit heißer Nadel am 29. Februar 2012 die „Allianz für Lärmschutz 2012“, um mit einem Bündel an aktiven und passiven Schallschutzmaßnahmen die Bevölkerung ruhig zu stellen. Die Landesregierung hat den Effekt, dass jetzt zusätzlich Hunderttausende in der Region neu durch Fluglärm belastet werden, offenkundig falsch eingeschätzt.
  • Politische Fehleinschätzungen werden im Nachgang ‚korrigiert’. Nachdem die von ihr prognostizierten Arbeitsplatzeffekte nicht eingetreten sind, nimmt die CDU-Landtagsfraktion eine ‚Korrektur’ auf ihrer Homepage vor und meldet dort jetzt, die Landtagsabgeordneten Dr. Walter Arnold, CDU, und Jürgen Lenders, FDP, hätten in ihrer Pressekonferenz am 09. März 2009 u. a. Folgendes gesagt: „Im Ausbauszenario für das Jahr 2020 werden etwa 40.000 Arbeitsplätze zusätzlich im Rhein-Main-Gebiet prognostiziert.“ In der Originalversion hatte es noch geheißen: „“Im Ausbauszenario für das Jahr 2015 werden etwa 40.000 direkte und rund 100.000 mittelbare Arbeitsplätze prognostiziert.“ Diese ‚Korrektur’ kann der Leser nicht erkennen.
  • In seiner Regierungserklärung vom 29. Februar 2012 verspricht der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier: „Ich habe immer gesagt, es muss leiser werden – und mit dieser Allianz wird es leiser werden.“ Nach seiner eigenen Bewertung ist es damit bei rund 490.000 Flugbewegungen in 2011 in der Rhein-Main-Region bereits zu laut. Gleichzeitig setzt er sich aber weiterhin massiv dafür ein, dass der Flughafen noch weiter wächst.
    Die Hessische Landesregierung ist bis heute nicht in der Lage, schlüssig zu erklären, wie der Flughafen ausgebaut werden soll, ohne gleichzeitig die Lärmbelastung für die Menschen in der Region noch weiter in die Höhe zu treiben.

Überforderung, Resignation und Politikverdrossenheit der Bürger

Die Feststellung von Prof. Thießen, dass die Bürger erst dann und damit meist zu spät reagierten, wenn sie persönlich betroffen sind, ist sicherlich richtig. Wer kann sich aber auch schon konkret vorstellen, was Fluglärm für ihn persönlich bedeutet, solange er keinen hat? Die Bürger bleiben aber nicht nur stumm, weil sie zu spät reagieren.

  • Sie verstummen resignativ auch, weil sie in den Anhörungen zum Planfeststellungsverfahren und bei Gericht einer fachlich hochgerüsteten, gut vernetzten und bestens organisierten Phalanx von Experten, Rechtsanwälten und Gutachtern ohnmächtig gegenüber stehen. „Was können wir kleinen Leute gegen die da oben schon ausrichten?“.
  • Sie sind zu Recht wütend und empört, wenn die Politik die absehbare Niederlage später als Ergebnis eines fairen Wettbewerbs deklariert.
  • Die Bürger resignieren, weil sie nicht verstehen, dass ein Planfeststellungsbeschluss selbst dann noch rechtskräftig bleibt, wenn sich die ihm zugrunde liegenden Prognosen im Nachhinein als falsch oder unzutreffend erweisen.
  • Sie resignieren, wenn sie in der Praxis feststellen, dass sich die tatsächlichen Flugrouten nicht nach den theoretisch voraus berechneten Lärmschutzbereichen richten.
  • Und sie resignieren nicht zuletzt, weil sie nicht nachvollziehen können, dass ihr Rasenmäher oder ihr Protest leiser sein müssen als der Krach am Himmel, gegen den sich ihr Protest richtet.

Wege zur Bürgerbeteiligung

Was muss also nun unter anderem getan werden, damit sich die Bürger bei Großprojekten wie einem Flughafenneu- oder -ausbau wieder stärker beteiligen mit dem Ziel, die demokratische Legitimationsbasis wieder herzustellen oder zu sichern?

Unterstützung durch ein Bürgerbeteiligungsgesetz

Die Bürger und ihre Initiativen waren zu Recht empört, als sie in den zahlreichen Anhörungsverfahren zum Planfeststellungsbeschluss des Frankfurter Flughafens immer wieder feststellen mussten, dass hier Amateure mit rasch angelesenem Wissen einer fachlich hochgerüsteten Phalanx von Gutachtern, Sachverständigen, Rechtsanwälten und Luftverkehrsexperten gegenüberstanden, denen sie zwangsläufig hoffnungslos unterlegen waren. Es ist daher verlogen, wenn der Staat seine Bürger bei komplexen Infrastrukturprojekten im Regen stehen lässt und später behauptet, das ganze Verfahren sei fair und rechtsstaatlich abgelaufen und somit demokratisch legitimiert. Hinzu kommt die Doppelrolle des Staates selbst. Staatliche Instanzen sollen über den Ausbau des Flughafens entscheiden, bei dem das Land Hessen mit der Stadt Frankfurt selbst Anteilseigner und damit interessengebundener Vorhabensträger ist.

Daraus ergibt sich die zentrale Forderung, dass rechtsfähige Dachverbände, in denen sich die Bürger mit ihren Initiativen organisiert haben, künftig gegenüber dem Staat einen Rechtsanspruch erhalten, dass sie bei Anhörungen im Planfeststellungsverfahren und daraus sich ergebenden Rechtstreitigkeiten kostenfrei durch entsprechend qualifizierte Anwälte und Sachverständige vertreten werden. Erst dann wird bei Infrastrukturprojekten nicht nur pro forma, sondern auch de facto Waffengleichheit hergestellt. Nähere Einzelheiten sind durch ein Bürgerbeteiligungsgesetz zu regeln.

Bürgeranhörung bei der Festlegung von Flugrouten

Erst wenn die lauten Maschinen außerhalb der offiziell ausgewiesenen Lärmschutzzonen über sein Haus donnern, stellt der verblüffte Bürger fest, dass Flugrouten gar nicht Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses waren und sich auch nicht zwingend an Lärmschutzzonen halten müssen. Verständlich ist der daraus resultierende Wunsch, dass die Festlegung von Flugrouten künftig Gegenstand von Planfeststellungsverfahren sein müsse, um die Beteiligung der von Fluglärm betroffenen Bürger zu sichern. Das Gegenargument, dass damit die Planung von neuen und vor allem die Änderung bereits vorhandener Flugrouten sehr unflexibel und langwierig würden, ist allerdings gleichfalls nachvollziehbar.

Die Festsetzung von Flugrouten erfolgt im Hinblick auf Öffentlichkeitsbeteiligung bisher ausschließlich durch Einbeziehung der Fluglärmkommissionen, zu deren Mitgliedern die Vertreter von besonders stark von Fluglärm betroffenen Kommunen und Landkreisen gehören. Die Einholung der Beratung dieses Gremiums bleibt nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Fluglärmkommissionen zwar weiterhin unverzichtbar, weil auf diese Weise eine abgestimmte Positionierung der von Fluglärm betroffenen Gebietskörperschaften bewirkt werden kann. Zugleich aber verbleibt eine Informationslücke gegenüber der betroffenen Bevölkerung auch außerhalb der in der Kommission vertretenen Gebietskörperschaften.

Vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf die Bevölkerung, die von der Festlegung von Flugrouten ausgehen können, sollte deshalb eine stärkere Einbindung der Betroffenen erfolgen, um ihren Bedenken/Anregungen in der Abwägungsentscheidung ausreichend Rechnung zu tragen. Der Forderung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Fluglärmkommissionen ist deshalb zuzustimmen, dass bei wesentlichen Änderungen oder bei der erstmaligen Festlegung einer Flugroute die Bürger und ihre organisierten Vertretungen zusätzlich zur Beratung der örtlichen Fluglärmkommissionen verpflichtend angehört werden müssen. Im Vordergrund der Beteiligung muss allerdings dabei stets die Verringerung der Lärmbelastung stehen und nicht die „gerechte“ Verteilung des vorhandenen oder des mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens sogar noch ansteigenden Lärmvolumens.

In die gleiche Richtung geht übrigens der begrüßenswerte gemeinsame Gesetzesantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen, Bundestagsdrucksache 550/15, vom 17.11.2015. Der Antrag wurde in der 939. Sitzung des Bundesrats am 27.11.2015 vorgestellt und in die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

Bundeseinheitliches Lärmschutzgesetz

Der gemeine Bürger ist politikverdrossen auch deshalb, weil er sich in dem Dickicht der verschiedenen Lärmschutzgesetze, -reglungen und –verordnungen nicht mehr auskennt. Er resigniert, weil diese Reglungen in teilweise absurdem Widerspruch zueinander stehen. Beim Rasenmähen am Sonntag kommt die Polizei. Beim gleichen Krach am Himmel jedoch kommt niemand. An Autobahnen in Hessen stehen Hinweisschilder „Tempo 100 – Lärmschutz 22 – 6 Uhr“. Gleichzeitig werden die Anwohner durch ruhestörende Einzelschallereignisse der einfliegenden Maschinen ab 5 Uhr aus den Betten geholt. Wer im Wohngebiet eine genehmigte Demonstration gegen Fluglärm durchführt, muss Lärmschutzauflagen beachten, wonach im Einzelfall 80 dB(A) nicht überschritten werden dürfen, ansonsten nicht 60 dB(A) – wohlgemerkt als Einzelschallereignis. Bei gleichen Lärmschutzauflagen müsste der Frankfurter Flughafen sofort still gelegt werden. Wie soll der gemeine Bürger verstehen, dass er leiser sein muss als der weitaus lautere, auf einen äquivalenten Dauerschallpegel herunter gerechnete Fluglärm, gegen den sich sein Protest richtet? Der gemeine Bürger versteht auch nicht, dass es keine additive Betrachtung des Lärms gibt, sondern lokal jede Lärmquelle nach der jeweils heranzuziehenden Regelung isoliert für sich bewertet wird.

Was deshalb gebraucht wird, um die Bürger wieder stärker zu interessieren und zu beteiligen, ist ein bundeseinheitliches Lärmschutzgesetz, in dem die verschiedenen Regelungen nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern miteinander so verzahnt sind, dass Gesamtbetrachtungen und –bewertungen nicht nur ermöglicht, sondern zwingend gefordert und die vorgenannten absurden Widersprüche beseitigt werden.

Um die Privilegierung des Luftverkehrs einzuschränken und die Bürger besser vor den Gesundheitsgefahren des (Flug-)Lärms zu schützen, müssten endlich vor allem drei Eckpunkte gesetzlich neu geregelt werden:

  1. Wie bereits seit langem gefordert, hat die absolute Priorität auf dem aktiven Schallschutz zu liegen, d. h. auf der Vermeidung des Lärms an der Quelle. Gesundheitsschutz muss grundsätzlichen Vorrang haben und darf nicht gegen Investoreninteressen und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen abgewogen werden.
  2. Deutlich stärkere Berücksichtung von Einzelschallereignissen. Die Menschen werden nicht durch den äquivalenten Dauerschallpegel, sondern durch laute und ruhestörende Einzelschallereignisse aus dem Schlaf gerissen.
  3. Da in der Lärmwirkungsforschung weitgehend Konsens besteht, dass oberhalb eines Mittelungspegels von 55 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts die Grenze zur erheblichen Belästigung überschritten wird, sollten im Fluglärmschutzgesetz die Grenzwerte für neue oder baulich wesentlich erweiterte Flughäfen zeitnah entsprechend abgesenkt werden.

Transparenz durch Projektcontrolling

Auch für Planfeststellungsverfahren gilt in Deutschland das Vorsorgeprinzip, d. h. das Bestreben, Unsicherheiten über die zukünftige Entwicklung bei Großprojekten möglichst im Vorfeld zu reduzieren und damit wirtschaftliche, gesundheitliche oder ökologische Risiken soweit es geht zu minimieren. Deshalb die große Anzahl von Gutachten und Prognosen, die ja selbst wieder mit dem Risiko behaftet sind, dass ihre Vorhersagen nicht eintreffen. Die Überforderung von Staat, Gerichten und Bürgern bei Großprojekten, aber vor allem die verbleibenden Restrisiken schreien deshalb geradezu danach, bereits im Planfeststellungsverfahren zwingend ein neutrales, systematisches, zeitnahes und vor allem transparentes Projektcontrolling zu implementieren. Hierzu gehört eine regelmäßige, unabhängige öffentliche Berichterstattung über den Fortgang des Projekts, über Soll-Ist-Abweichungen sowie über Fehleinschätzungen bei wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder ökologischen Risiken und Prognosen. Gerade wer sich im Nebel bewegt, muss zwischendurch regelmäßig und systematisch überprüfen, ob er sich noch auf dem richtigen Pfad befindet. Es widerspricht demokratischen Grundprinzipien zutiefst, Großprojekte mit gravierenden gesellschaftlichen Auswirkungen zunächst politisch aufs Gleis zu schieben und später die Bürger mit den Folgen allein zu lassen.

Prognoseirrtümer und die Folgen

Gäbe es ein solches Projektcontrolling beim Ausbau des Frankfurter Flughafens, wären inzwischen auf mindestens den folgenden zentralen Prognosefeldern bereits gravierende Abweichungen festgestellt worden:

  • Bei den Jobprognosen. Fünf Monate nach Eröffnung der neuen Nordwest-Landebahn wird der Fraport-Vorstandsvorsitzende, Dr. Stefan Schulte, in der Märzausgabe 2011 der Fraport-Hauszeitschrift STARTfrei extra wie folgt zitiert:„Anno 2015 werden dank der dann vorhandenen Kapazität rund 95.000 Beschäftigte am Flughafen arbeiten – eine Verdreifachung der Arbeitsplätze seit 1980.“ Tatsächlich sind es Ende 2015 aber nur 80.000 geworden, eine Prognoseabweichung von immerhin 16%.
  • Bei der Entwicklung der Flugbewegungszahlen. Sie sind gegenüber 2011 statt zu wachsen um 20.000 auf rund 470.000 im Jahre 2015 sogar zurück gegangen. Im September 2014 legt die Fraport AG neue Gutachten vor, wonach die Prognose für die Zahl der Flugbewegungen in 2020 auf nunmehr 529.000 bzw. 526.000 massiv nach unten korrigiert werden muss.
  • Bei der Wirtschaftlichkeit der neuen Landebahn. Nach Darstellung der Fraport AG ergeben sich aus dem Investment in Höhe von 600 Mio. Euro jährlich 100 Mio. Euro an Zusatzbelastungen, die operativ durch Erlössteigerungen aus dem erwarteten Verkehrswachstum verdient werden sollten. Dieses Wachstum ist aber bislang nicht eingetreten, so dass den Zusatzkosten von 100 Mio. Euro p. a. keine adäquaten Zusatzerlöse gegenüber stehen.
  • Bei den Wirbelschleppen. Nachdem entgegen den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit in Raunheim und Flörsheim mehr Dächer abgedeckt wurden als prognostiziert, musste das Dachklammerungsprogramm der Fraport AG ausgeweitet werden.
  • Bei der Lärmentwicklung. Am 29. Februar 2012, wenige Monate nach Eröffnung der neuen Nordwest-Landebahn, kommt die Hessische Landesregierung selbst zur Erkenntnis, dass es bei damals 490 000 Flugbewegungen leiser werden muss. Sie hat ganz offensichtlich die voraussichtliche Lärmentwicklung falsch eingeschätzt.

Auf der einen Seite hat der Investor ein berechtigtes Interesse an einem rechtssicheren Planfeststellungsbeschluss. Schließlich trägt er ein erhebliches wirtschaftliches Risiko, falls z. B. die Prognosen über die Entwicklung des Luftverkehrs, des Passagieraufkommens oder der Flugbewegungszahlen nicht eintreffen. Auf der anderen Seite ist den Bürgern nicht zu vermitteln, dass ein Planfeststellungsbeschluss in Stein gemeißelt bleibt selbst dann, wenn sich z. B. die Beschäftigtenzahlen, das Wirbelschleppenrisiko oder die Lärmbelastung gravierend anders entwickeln als prognostiziert.

Planfeststellungsbeschlüsse bei Großprojekten, die sich ja gerade dadurch auszeichnen, dass ihre Ergebnisse und Auswirkungen risikobehaftet sind, müssen revisionsfähig sein:

  • Weil die Praxis gezeigt hat, dass das Wirbelschleppenrisiko falsch eingeschätzt worden war, hat das Land Hessen im Mai 2014 die Vorsorgezonen gegen sogenannte Wirbelschleppen in der Einflugschneise durch eine entsprechende Planergänzung ausgeweitet und praktisch verdoppelt.
  • Wenn der Flughafenbetreiber garantiert, dass im Rahmen des Ausbaus 95.000 Beschäftigte im Jahre 2015 am Flughafen arbeiten werden, dann muss er zukünftig ganz konsequent dem Staat Schadenersatz leisten für entgangene Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge, wenn am Ende nur 80.000 Beschäftigte nachgewiesen werden können.
  • Wenn die Hessische Landesregierung am 29. Februar 2012 zur Erkenntnis gelangt, dass es bei damals 490 000 Flugbewegungen bereits zu laut in der Region rund um den Flughafen ist und es folglich leiser werden muss, dann muss sie konsequenterweise durch eine Änderung des Planfeststellungsbeschlusses dafür sorgen, dass der weitere Ausbau – durch welche Maßnahmen auch immer – belastungsneutral erfolgt.

Ein konsequentes und transparentes Projekt-Controlling kann die Bürgerbeteiligung erhöhen, wenn die Menschen erkennen, dass gravierende Prognoseabweichungen zukünftig Konsequenzen haben und der Staat nicht tatenlos zusieht, wie sich Großprojekte in der Umsetzung später entwickeln.

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