von Dirk Treber
Rund um den Flughafen Frankfurt am Main gibt es seit Anfang November 2017 eine Lärmobergrenze (LOG) zum Schutz der Flughafenanwohner vor Fluglärm. Für hunderttausende Anwohner im Rhein-Main- Gebiet heißt das: Die Lärmbelastung in der Region wird nicht immer weiter steigen. „Der Flughafen – und damit die größte Arbeitsstätte der Region – wird sich weiter entwickeln können. Voraussetzung für mehr Flüge ist aber: Die Lärmbelastung pro Flugbewegung muss geringer werden“, sagte Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) bei der Vorstellung der Lärmobergrenze in Wiesbaden. „Die Fluggesellschaften haben jetzt einen weiteren Anreiz, leiser zu fliegen. Denn wir begrenzen den Lärm, nicht die Flugbewegungen: Wer künftig mehr fliegen will, muss also leiser fliegen.“
Kompromiss aller zentralen Akteure
Der nun beschrittene freiwillige Weg wurde von Vertretern aller zentralen Akteure am Flughafen gemeinsam ausgearbeitet und mitgetragen: Von der Frankfurter Fluglärmkommission über die Fluggesellschaften und das Forum Flughafen und Region bis hin zum Flughafenbetreiber Fraport. Al-Wazir: „Natürlich waren und sind die Interessen sehr unterschiedlich. Der Fluglärmkommission geht es vor allem um eine verbindliche Lärmobergrenze. Die Luftfahrtindustrie legt besonderen Wert auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Flughafens. Dennoch ist es uns gelungen, uns auf einen Kompromiss zu einigen und mit der Lärmobergrenze jetzt ein Versprechen einzulösen, das den Menschen in der Region vor über 17 Jahren gegeben wurde. Damit erfüllen wir nun auch endlich den letzten großen offenen Punkt des Mediationsergebnisses.“
Ohne Begrenzung könnte Belastung deutlich steigen
Der Minister wies darauf hin, dass die Lärmbelastung in der Region ohne eine Begrenzung noch deutlich steigen könne. Im vergangenen Jahr starteten und landeten am Frankfurter Flughafen 463.000 Flugzeuge. Beim Erlass des Planfeststellungsbeschlusses war eine Lärmbelastung auf Basis des so genannten Dauerschallpegels errechnet worden, die von einer Steigerung auf 701.000 Flugbewegungen im Jahr 2020 ausging. „Würde man diesen Anstieg von aktuell gut 460.000 auf 701.000 bei identischem Flottenmix und Routenbelegung hochrechnen, würde der Lärmpegel noch um rund 1,8 Dezibel steigen“, so der Minister. „Zum Vergleich: Eine Zunahme um 3 Dezibel entspricht einer Verdoppelung des Dauerschallpegels.“
Das Modell der Lärmobergrenze
Um den weiteren Anstieg der Lärmbelastung in der Region zu minimieren, soll die Lärmobergrenze die Fläche begrenzen, in der die Lärmbelastung am Tag besonders hoch ist. Damit werden die in der Vergangenheit für die Nachtzeit bereits ergriffenen Maßnahmen zur Begrenzung des Lärms ergänzt. Al-Wazir: „Das kommt der gesamten Region, insbesondere auch den hoch- und höchstbetroffenen Anwohnern zugute.“
Konkret sieht das Modell vor, die Gebiete mit hoher Fluglärmbelastung (55 dB(A) und mehr) sowie mit der höchsten Fluglärmbelastung (60 dB(A) und mehr) zu begrenzen. Dabei wird, wie bei Fluglärmprognosen üblich, die so genannte 3- Sigma Regelung angewendet.
Ohne eine Lärmobergrenze könnte die Fläche der hochbetroffenen Gebiete nach den Annahmen des Planfeststellungsbeschlusses in Zukunft um 11.077 Hektar wachsen. Die Lärmobergrenze greift bereits bei zusätzlichen 3.276 Hektar. Das sind 70 Prozent weniger, als auf Grundlage der im Planfeststellungsbeschluss für den Ausbaufall prognostizierten Fluglärmbelastung.
In den höchstbetroffenen Gebieten ist eine noch stärkere Begrenzung geplant. Nach den Annahmen des Planfeststellungsbeschlusses könnte diese Fläche noch um über 5.121 Hektar zunehmen. Hier greift die Lärmobergrenze bereits bei zusätzlichen 1178 Hektar. Das ist eine Verringerung um 77 Prozent gegenüber dem in der Planfeststellung prognostizierten Wert.
Al-Wazir: „Mit dem vorgelegten Modell kann die Lärmobergrenze anhand klarer, objektivierbarer, fachlicher und für jeden überprüfbarer Faktoren berechnet werden.“
Gestuftes System bei Überschreitung der Grenze
Zur Überprüfung des Modells wird jedes Jahr anhand der real stattgefundenen Flugbewegungen berechnet, ob die Lärmobergrenze im Vorjahr eingehalten wurde und eine Abschätzung der voraussichtlichen Entwicklung der Folgejahre erstellt. Dabei werden auch Reduktionen durch neue, leisere Flugzeuge und umgesetzte aktive Schallschutzmaßnahmen berücksichtigt. Dieses Monitoring wird fachlich durch die Bündnispartner begleitet und zusätzlich durch das Umwelt- und Nachbarschaftshaus qualitätsgesichert. Sollte es zu einer Überschreitung der Lärmobergrenze im tatsächlichen Verkehr kommen, tritt ein gestuftes Verfahren in Kraft. „Bei einer möglichen erstmaligen Überschreitung der Lärmobergrenze prüfen Fraport und die Fluggesellschaften Maßnahmen zur Lärmreduktion. Wird die Lärmobergrenze zwei Jahre in Folge überschritten, werden wir Maßnahmen nötigenfalls auch außerhalb des freiwilligen Bündnisses ergreifen, um die Einhaltung der Lärmobergrenze sicherzustellen“, sagte Al- Wazir. „Wir wollen aber, dass es gar nicht so weit kommt. Vielmehr geben wir mit der Lärmobergrenze einen Anreiz, frühzeitig etwas gegen steigenden Lärm zu unternehmen“, so Al-Wazir. Die Lärmobergrenze soll also wirken, schon bevor sie erreicht wird.
Freiwilliges Bündnispapier regelt Umsetzung
Die konkrete Umsetzung der Lärmobergrenze wurde in einem freiwilligen Bündnispapier geregelt, das vom Hessischen Verkehrsministerium mit der Frankfurter Fluglärmkommission, dem Forum Flughafen und Region, der Fraport, der Deutschen Lufthansa, der Condor und dem BARIG ausgehandelt wurde.
„Wir haben uns in den Verhandlungen auf einen Kompromiss geeinigt, bei dem sich alle aufeinander zubewegt haben“, so Al-Wazir. „Es stimmt: Dieses Modell führt nicht dazu, dass es ab morgen rund um den Flughafen leiser wird. Aber wir stellen damit sicher, dass die Lärmbelastung in der Region in Zukunft deutlicher geringer sein wird, als sie es ohne Lärmobergrenze wäre.“
Was sagen die Bündnispartner zur LOG?
„Fraport ist sich seiner Verantwortung für die Region bewusst und beteiligt sich deshalb an dem Bündnis für eine Lärmobergrenze. Damit wird ein gemeinsames Ziel aller Partner formuliert, wie der Flughafen Frankfurt zukunftsgerecht weiterentwickelt werden kann. Wir gehen damit den „Frankfurter Weg“ weiter. Das von Seiten des HMWEVL eingebrachte Konzept einer Lärmobergrenze ist aus unserer Sicht ein sehr ambitionierter Zielwert. Ihn einzuhalten und dabei den Flughafen gemäß der Zielsetzungen des Flughafenausbaus zu entwickeln, wird allen Beteiligten sehr große Anstrengungen abverlangen. Wichtig ist, dass der Planfeststellungsbeschluss und die Betriebsgenehmigung von unserem gemeinsamen, freiwilligen Einsatz für einen verbesserten Lärmschutz unberührt bleiben“, sagte Anke Giesen, Vorstand Operations des Flughafenbetreibers Fraport.
Dr. Axel Schmidt, Head of Group Regulatory Aviation & Security Affairs Deutsche Lufthansa AG: „Wir freuen uns über die nun gemeinsam erreichten verlässlichen, klaren und langfristigen Rahmenbedingungen beim Thema Lärm. Das beschert Investitions- und Planungssicherheit für zukünftige Wachstums- und Flottenentscheidungen bei Lufthansa.“
Ralf Teckentrup, Vorsitzender der Condor Geschäftsführung: „Das Ergebnis der freiwilligen Zusammenarbeit zur Lärmobergrenze stellt einen in unseren Augen akzeptablen Kompromiss dar und ergänzt das bestehende Engagement aller Akteure, die Anwohner des Flughafens von weiterem Anstieg des Lärms so gut es geht zu entlasten und dabei die Wachstumsfähigkeit der Branche nicht einzuschränken. Als Luftverkehrsunternehmen, welches tief mit der Region verwurzelt ist, ist der Ferienflieger Condor auch in der Vergangenheit verlässlicher Partner in Sachen Lärmschutz gewesen. Der Flughafen Frankfurt und seine Kunden, darunter vor allem die zwei größten Home Carrier Lufthansa und Condor, sichern die wirtschaftliche Prosperität der Region und darüber hinaus. Nur wenn uns die Möglichkeit gegeben wird, weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, können wir auch in Zukunft in modernes, lärm- und emissionsarmes Fluggerät investieren.“
Michael Hoppe, Generalsekretär des Board of Airline Representatives in Germany (BARIG): „Die rund 100 nationalen und internationalen Fluggesellschaften, die im BARIG zusammengeschlossen sind, stehen weiter zu einem fairen Interessensausgleich mit den Anwohnern des Frankfurter Flughafens. Gleichzeitig ist Luftverkehr am Standort Frankfurt ist ein Garant für Arbeitsplätze und wirtschaftliche Prosperität und darf nicht unnötig eingeschränkt werden. Die BARIG Airlines setzen sich daher mit zahlreichen Maßnahmen aktiv dafür ein, die Lärmbelastung so gering wie möglich zu halten. Aktiver Schallschutz wie der Einsatz moderner, leiser Flugzeuge und neuer Flugverfahren sowie Maßnahmen zum passiven Schallschutz werden ständig weiterentwickelt. BARIG und seine Mitglied-Airlines akzeptieren die Einführung einer freiwilligen Lärmobergrenze am Flughafen Frankfurt als gemeinsamen Schritt der abschließenden Umsetzung der Mediationsergebnisse zum Ausbau des Flughafens.“
Oliver Quilling, Landrat des Kreises Offenbach und Vorstand Forum Flughafen und Region: „Die Einführung einer Lärmobergrenze ist seit der Mediation angestrebt worden. Schon im Regionalen Dialogforum und auch im Forum Flughafen und Region wurden verschiedene Konzepte erarbeitet. Aus Sicht des FFR ist das nunmehr gefundene Verfahren ein gangbarer Weg, um den Fluglärm in der Region zu begrenzen.“
Zentrale Forderung der Fluglärmkommission (FLK)
Thomas Jühe, Vorsitzender der Fluglärmkommission Frankfurt: „Das Erreichen einer Lärmobergrenze für den Frankfurter Flughafen stellt seit langem die zentrale Forderung der FLK dar. Mit der jetzt erreichten Regelung ist ein wichtiger Schritt dafür getan worden, kontinuierlich und wirksam Fluglärmbelastungen in der Region mindern zu können. Für den Erfolg wird langfristig maßgeblich sein, dass sich auch alle Akteure konsequent an die Vereinbarung halten. Die Fluglärmkommission jedenfalls sitzt mit am Tisch und wird darüber wachen!“
Was sagen die Betroffenen zur Lärmobergrenze:
Das Bündnis der Bürgerinitiativen (BBI) sieht in der Vereinbarung keinen wesentlichen Fortschritt. Kritikpunkte sind unter anderem, dass es nicht leiser wird, sondern nur der Anstieg des Lärms gebremst wird, und dass keine Sanktionen bei Überschreitung vorgesehen sind. Da man aber weit von den möglichen 700.000 Flugbewegungen entfernt sei, tue die Vereinbarung auf längere Sicht niemandem weh, meint das BBI. Auch Fluglärmgegner aus Rheinland-Pfalz sehen die Vereinbarung skeptisch. Verbesserungen in Rheinland-Pfalz erwarten sie davon nicht. Einige BIs sehen in der Lärmobergrenze einen Schritt in die richtige Richtung, auch wenn der Lärm noch deutlich weniger werden muss.
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt lobte die Vereinbarung zur Lärmobergrenze als gelungenen Ausgleich zwischen den Interessen des Luftverkehrs und dem Lärmschutz. Positiv wird hier gesehen, dass das Wachstum der Flugbewegungszahlen nicht eingeschränkt wird, solange es nicht lauter wird; so werde die Wettbewerbsfähigkeit des Flughafens nicht gefährdet.
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) merkt an: „Die Einführung einer Lärmobergrenze am Flughafen Frankfurt erschwert zusätzlich den Wettbewerb in einem ohnehin angespannten Marktumfeld. Es gibt einen gültigen Planfeststellungsbeschluss, der den Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit gewähren soll. Die freiwillige Lärmobergrenze darf die Verlässlichkeit von planfestgestellten Kapazitäten nicht in Frage stellen. Denn gerade im Luftverkehr wird mit langen Vorlaufzeiten geplant und umso mehr muss man sich auf vereinbarte und bestandskräftige Beschlüsse auch verlassen können. Deswegen begrüßen wir, dass die Beteiligten sich einig sind, dass der Luftverkehrsstandort Frankfurt auch weiterhin am Luftverkehrswachstum teilhaben soll.
Der Flughafenverband ADV begrüßt, dass die Einführung einer Lärmobergrenze am Flughafen Frankfurt im Dialog mit der Luftverkehrswirtschaft erarbeitet wurde. Gleichzeitig bekräftigt der Verband seine Kritik am Hessischen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir. Alle Versuche, mit der Androhung von Zwangsmaßnahmen eine rechtsverbindliche Planfeststellungsgenehmigung aufzubrechen, beeinträchtigen den Flughafenstandort Frankfurt im europäischen Wettbewerb. Hierzu erklärt ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel: „Das langfristige Wachstumsziel von 701.000 Flugbewegungen pro Jahr in Frankfurt muss Bestand haben. Wer jetzt die Vorgaben des Landesentwicklungsplans Hessen 2000 verschärfen möchte, geht eindeutig einen Schritt zu weit.“
Die Parteien im hessischen Landtag äußern sich teils zustimmend, teils ablehnend. Die CDU sieht in der vorgestellten Einigung auf einer Lärmobergrenze einen „Schritt von allergrößter Bedeutung“ für eine geringere Lärmbelastung. Man setze damit eines der schwierigsten Elemente des Mediationsergebnisses um. Die Vereinbarung werde den Menschen, die am Flughafen arbeiten, ebenso gerecht wie den Bewohnern der Region. Die Grünen loben die Bedeutung der Vereinbarung: die Luftverkehrswirtschaft müsse dadurch die Lärmminderung zu einem wichtigen Teil ihrer Strategie machen. Dies sei wirksamer als behördliche Auflagen. Die SPD sieht dagegen in der vorgelegten Vereinbarung nur ein Placebo. Die jetzt vereinbarte Lärmreduzierung sei im Kern längst erreicht. Die Linke kritisiert, dass die Vereinbarung eine Zunahme der Flugbewegungen ermögliche und auch noch freiwillig sei. Die FDP sieht die Freiwilligkeit des Abkommens dagegen als Vorteil und lobt, dass es keine Kapazitätsbeschränkung gibt.
Der Kreis Groß-Gerau kritisiert die Lärmobergrenze, weil es damit nicht wirklich leiser wird, sondern nur weniger laut als ursprünglich angenommen, und weil die Forderungen nach regelmäßiger Absenkung der Grenze und lokalen Grenzwerten nicht erfüllt sind.
Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz bewertete die Lärmobergrenze skeptisch. Ministerpräsidentin Dreyer verspricht sich davon nicht weniger Fluglärm in ihrem Bundesland. Die Mainzer Umweltdezernentin Katrin Eder lobte, dass zum ersten Mal überhaupt dem unbegrenzten Wachstum des Fluglärms eine Grenze gesetzt worden sei, kritisierte aber, dass es nicht leiser wird und die Vereinbarung freiwillig sei.
Die Frankfurter Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Grüne) lobte Minister Al-Wazir für die Umsetzung der Lärmobergrenze und sprach von einer „Trendwende in der hessischen Landespolitik“.
Der (ausbaukritische) Arbeitskreis „Region und Flughafen“ der SPD-Hessen-Süd lässt an der Lärmobergrenze dagegen kein gutes Haar: „Die Vereinbarung stellt den nächsten Vertrauensbruch dar, den Fraport gemeinsam mit der Landesregierung an den in Rhein-Main-Gebiet lebenden Bevölkerung begeht.
Ob die Lärmobergrenze tatsächlich zu einer Minderung der Belastungssituation rund um den Frankfurter Flughafen beiträgt, bleibt abzuwarten. Vor allem gilt es, sich nicht auf dem Lärmpausenmodell und der Lärmobergrenze auszuruhen: zusätzliche konkrete Schritte im Rahmen der Fortschreibung des Maßnahmenpakets „Aktiver Schallschutz“ müssen zu mehr Lärmschutz in der Rhein-Main-Region führen.